Es war ein langer, anstrengender Arbeitstag. Ich liege auf dem Sofa und machen die nächste Folge einer Serie an. Mein Bauch spannt unangenehm, weil ich mir gerade die fettigste Pizza aller Zeiten reingestopft habe und ich denke mir dabei: „Musste das jetzt wieder sein??? Du hast dich letztes Mal auch schon so schlecht gefühlt, nachdem du dich überfressen hast. Warum kannst du daraus nicht mal lernen?! Wieso bist du eigentlich die einzige, die sich nicht vernünftig ernähren kann?! Was stimmt nicht mit dir?!“
Wenn du so etwas noch nie über dich selbst gedacht hast: Herzlichen Glückwunsch!
Falls du solche inneren Dialoge kennst, dann wette mit dir, dass du mit einer Person, die du magst, nicht so sprechen würdest. Zu uns selbst sind wir jedoch immer wieder ziemlich gnadenlos. Warum eigentlich?
Unser Selbstkonzept
Alle Menschen entwickeln im Lauf ihres Lebens eine Vorstellung über sich selbst. Das geschieht einerseits durch Reflexion dessen, was wir über uns wissen. Zu einem großen Teil entsteht unser Selbstbild jedoch auch in der sozialen Interaktion mit unseren Mitmenschen. Dieses Selbstbild gleichen wir dann mit einem Soll- oder Ideal-Bild ab.
Die Bewertung dieses Bildes: das Selbstwertgefühl
Es gehört zu den basalen Bedürfnissen des Menschen, sich zu vergleichen, um die eigenen Fähigkeiten einschätzen zu können, sich selbst und andere besser zu verstehen, aber auch, um den eigenen Selbstwert zu bewahren oder zu verbessern.
Die Krux ist nur: Wenn du eh schon ein geringes Selbstwertgefühl hast, versucht deine Psyche, dich genau darin zu bestärken. „Self verification“ nennt sich diese Motivation, die in einer gewissen Ausprägung in uns allen wirkt. Menschen streben danach, ein möglichst konsistentes Bild von sich zu haben. Das verleiht das Gefühl von Kontrolle, weil man meint zu wissen, wie man selbst und die Welt funktioniert. Gedanken, Einstellungen oder Überzeugungen, die davon abweichen, verunsichern uns.
Deswegen arbeitet unsere Psyche aktiv daran, das vorhandene Konzept, das wir von uns und der Welt haben, zu erhalten und zu bestätigen. Du merkst schon, wo das jetzt hingeht, oder?
Genau, da wir schon von uns denken, dass etwas mit uns nicht stimmt, meint unsere Psyche, es sei eine super Idee, genau das immer und immer zu bestätigen, um kognitive Dissonanzen zu vermeiden.
Und nu?
Wenn man dem Großteil der Selbsthilfeliteratur glaubt, müssen wir uns nur vor den Spiegel stellen, uns in die Augen blicken und sagen, dass wir uns lieben. Wenn wir das nur oft genug machen, wird irgendwann alles gut. Nun, du kannst dich ja mal selbst fragen, ob du mit dieser Methode in der Vergangenheit Erfolg hattest.
Dr. Katharina Tempel, „STARKES ICH – Mein Weg zu mehr Selbstwertgefühl“
Hier sind ein paar Vorschläge, wie du dich langsam daran herantasten kann, etwas freundlicher mit dir selbst umzugehen:
1. Achte auf deine Sprache
Sprache beeinflusst, was wir denken. Und unser Denken beeinflusst, was wir fühlen.
Vermeide anklagende Ansprachen und Verallgemeinerungen in deinen Gedanken über dich selbst – oder ersetze sie, sobald sie dir auffallen.
Du bist nicht immer so tollpatschig, du hast nur einen Fehler gemacht. Du bringst nicht nie etwas zu Ende, sondern hast diese eine Sache abgebrochen.
2. Nimm eine andere Perspektive ein
Was würdest du einer befreundeten Person sagen, wenn sie in deiner Situation wäre oder ihr das gleiche passiert wäre wie dir?
Manchmal hilft es, eine andere Perspektive einzunehmen, um die richtigen Worte für sich selbst zu finden.
3. Erweitere dein Selbstbild
Mach dir bewusst, was du an dir selbst magst und schreib dir eine Liste all der positiven Eigenschaften, die du besitzt und am besten auch all der Erfolge, die du in deinem Leben schon erreicht hast. Achte auch dabei auf deine Sprache und rede dir deine positiven Eigenschaften und Errungenschaften nicht direkt wieder klein.
Sollten dir negative Gedanken zu deinem Selbst langfristig zu schaffen machen und solltest du darunter leiden, scheue dich bitte nicht davor, dir professionelle Hilfe zu suchen. Besonders im Fall des Verdachts auf eine psychische Erkrankung ist ein Gespräch mit einem Arzt oder Psychotherapeuten unverzichtbar.
Pass gut auf dich auf, glaub nicht alles, was du denkst und sei nachsichtig mit dir!